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Mallorca, seine Alten und ihr Mallorquín. Ein Blick in die Vergangenheit.

Aktualisiert: 14. Jan. 2020


Toreros, Paella und Strand ohne Ende. Und wie ist Spanien darüber hinaus? Seit vielen Jahren kenne ich dieses Land und beschäftige mich mit ihm. Ich habe es lieben gelernt und mich stets auf Pfade abseits der großen Touristenströme begeben: Dazu zählt mein erster Besuch auf Mallorca, der mich positiv überrascht und nachhaltig beeindruckt hat. In diesem Beitrag geht es um das Mallorquín, die Sprache der Einheimischen und seinen Status während und nach der spanischen Diktatur (1939-1975).

 

Es ist mal wieder Zeit für unser Lieblingsfrühstück in einem Café in Santa Margalida, das wir jetzt schon häufiger während unseres Urlaubs auf Mallorca besucht haben: Tostadas, frisch gepresster Orangensaft, das Geschehen auf dem kleinen Dorfplatz beobachten. Wir sind auch heute - wie bisher immer - nicht die einzigen, die diesen Ort schätzen: Die Tische des Cafés sind voll belegt mit Senioren, die miteinander schwatzen, diskutieren oder einfach nur hier sitzen.


Man erzählt uns, dass die Stadtverwaltung dem Besitzer des Cafés die Miete erlässt. Im Gegenzug dürfen die Senioren hier sitzen, auch ohne etwas zu konsumieren. Das Ganze ist sozusagen eine Art subventionierter Seniorentreff - mit klaren Regeln, denn an der Tür hängt ein Schild: Wer sich hier aufhält, muss sich an die Regeln des Zusammenlebens und gegenseitigen Respekts halten, persönliche Dispute dürfen hier nicht ausgetragen werden. Ich muss grinsen, denn offensichtlich ist es nötig, darauf hinzuweisen.


Während ich meinen Orangensaft schlürfe, denke ich daran, wie Senioren in Deutschland leben: Viele von ihnen verschanzen sich hinter verschlossenen Gardinen in dunklen Wohnzimmern, starren auf den Fernseher und warten darauf, dass ihre Enkel sie einmal im Monat besuchen. Hier hingegen sitzen die Rentner mittendrin, am zentralen Platz des Dorfes, inmitten der anderen jungen, mittelalten und alten Einheimischen und Touristen wie uns; sie sind fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens dieser Kleinstadt. Auch sonst ist das Publikum in spanischen Bars übrigens sehr gemischt: Familien mit Kindern und Großeltern gehen auch abends zusammen aus. Toll, wie Spanien das macht!


Obwohl ich fließend Spanisch spreche, kann ich die Gespräche der Alten nicht verstehen. Sie sprechen Mallorquín, einen Dialekt des Katalanischen, der nur hier gesprochen wird. Katalanisch wiederum ist eine romanische Sprache, aber eine ganz eigene, mit dem Spanischen nicht mehr verwandt als das Italienische oder Französische. Es wird in Katalonien, auf den Balearischen Inseln, in Roussillon (Frankreich), in Andorra und in der Stadt Alghero (Sardinien) gesprochen. Das Mallorquinische allerdings unterscheidet sich nochmal vom Standardkatalanisch - hier einige Beispiele:

  • ich singe = cant (mall.) / canto (kat.)

  • wir singen = cantam (mall.) / cantem (kat.)

  • ihr singt = cantau (mall.) / canteu (kat.)


Katalanisch - und damit auch Mallorquinisch - ist heute neben dem Spanischen offizielle Amtssprache auf den Balearischen Inseln. Das war nicht immer so: Zur Zeit der Franco-Diktatur (1939-1975) war ihr Gebrauch im öffentlichen und privaten Raum verboten - sicherlich ein Grund für das erhöhte Regionalbewusstsein, das in spanischen Regionen mit Minderheitensprachen häufig festzustellen ist. So hat das Galizische in Galizien und das Baskische im Baskenland eine ähnliche Geschichte. Besonders im Baskenland und in Katalonien gab es in der Vergangenheit Bemühungen, sich von Spanien abzuspalten. Erst 2017 führte die Regionalregierung Kataloniens ein umstrittenes Referendum durch, bei dem rund 90% der Wähler für die Unabhängigkeit stimmten.


Die Männer hier im Café mögen um die 80 Jahre alt sein und sind damit in etwa zu Beginn der Diktatur geboren. Sie sind also mit dem Verbot des Mallorquíns groß geworden und doch sitzen sie hier und nutzen ausschließlich diese Sprache. Was passierte nach dem Ende der Diktatur?


1977 wurde zunächst ein Amnestiegesetz erlassen, durch das die Verbrechen der Diktatur ungestraft blieben. Wie Emilio Rappold in seinem Artikel (s. u.) beschreibt, war es ein Tabu, über Franco und seine Diktatur zu sprechen. Das hat die Aufarbeitung der Geschichte erheblich erschwert. Erst in den letzten Jahren ist die Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema offener geworden: Viele Angehörige begeben sich erst jetzt auf die Suche nach Überresten ihrer Verwandten, die während des franquistischen Regimes verschwanden, Massengräber werden exhumiert. Nach deutschem Vorbild wurden kürzlich Stolpersteine verlegt, die an die Verbrechen dieser Zeit erinnern sollen.


Was die Sprache angeht, wurde 1997 auf den Balearen ein Gesetz zur sprachlichen Normalisierung erlassen, um das Mallorquinische angesichts sinkender Sprecherzahlen stärker im öffentlichen Leben zu verankern. Vielleicht sind die Treffen der Alten daher ein Versuch, dem Verschwinden der Sprache entgegen zu halten. Vielleicht setzen sie auch durch den Gebrauch der Sprache bewusst ein Zeichen gegen die Verbrechen der Diktatur und gegen aktuell wieder zunehmende rechte Tendenzen. Und vielleicht genießen sie einfach die Freiheit, wieder so sprechen und leben zu können, wie sie es wollen und damit Teil des öffentlichen Lebens zu sein, denn das war nicht immer selbstverständlich. Ich jedenfalls denke, dass das Mallorquinische eine weitere, einzigartige, Sprache dieser Welt ist, die es zu schützen gilt - im Sinne der Vielfalt der Menschen und Kulturen in dieser Welt. Wie schön, dass diese Alten hier auf dem Marktplatz von Santa Margalida dazu beitragen können.


Mallorquín an der Kirche von Santa Margalida

 

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Die Informationen zu diesem Artikel habe ich Unterlagen aus Vorlesungen der Universität zu Köln sowie den folgenden Artikeln entnommen:

  • Rappold, E. (2018): Bis heute leidet Spanien unter Francos Verbrechen. - https://www.welt.de/geschichte/article185189592/Aufarbeitung-Bis-heute-leidet-Spanien-unter-Francos-Verbrechen.html (28.9.2019)

  • Krayer, J. (2018): Auch die Franco-Opfer auf Mallorca bekommen Stolpersteine. - https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2018/08/15/franco-opfer-mallorca-bekommen-stolpersteine/61891.html (28.9.2019)

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